Kaufberatung und Umstieg von der 990 Adventure EFI auf 790 Adventure R Teil 1/3
Unsere geliebte 990 Adventure haben wir (Frouwe und meinereiner) vor einigen Monaten mit 150.000 km auf der Uhr verkauft. Warum und wie wir überhaupt zu einer KTM kamen, kann man bei Interesse in aller Ausführlichkeit im Propellerforum unter dem Thread „Die unerträgliche Leichtigkeit der richtigen GS-Enduro-Wahl“ nachlesen:
https://www.gs-forum.eu/thread…gen-gs-enduro-wahl.17576/
Im Prinzip hat sich an den Überlegungen bis heute nicht viel geändert: das Angebot an Reiseenduros ist groß; hat man einen eigenen Wunschkatalog, der sich nicht am Marketingsalbader der Hersteller orientiert, sieht es schon sehr mau aus.
Kurzum: nach einer Probefahrt von 30 Minuten waren wir damals verliebt… in das orangene Moped, versteht sich. Es passte alles. Sitzposition und Windschutz (auch für die Sozia), Fahrwerk, Handling, Fahrleistungen, Motor, Klang und Optik. Das „Ding“ war wie für uns gemacht.
Wir sind Motorradreisende, keine Enduristen. Die Orangene wurde regelmäßig mit zu viel Gepäck beladen und an nahe und entlegenere Gestade getrieben. Auf schnellen Autobahnetappen (Reisetempo zwischen 140 und 160 km/h – auch stundenlang), überwiegend auf kleinen Landstraßen und natürlich auch auf Schotterstaßen oder Feldwegen. „Echtes“ offroad gab es nicht. Dazu eine kleine Anekdote:
Vor Jahrzehnten bin ich einmal mit einem Vesparoller durch Marokko gereist. Natürlich ging es auch über einige Pistenkilometer zu den ersten erreichbaren Sanddünen der Sahara. Was für ein Abenteuer. Da konnte man sie sehen, die großen Abenteuerfahrzeuge. Zu Wohnmobilen umgebaute LKW des Technischen Hilfswerks, genauso wie Unimogs und VW-Allradbusse. Ausgestattet mit allen Schikanen, die eine Offroadtour ausmachen. Mit Sandblechen und GPS-Systemen, Sperrdifferenzialen und Spezialbereifungen. Aber sehen konnte man auch die vergnügten einheimischen Jugendlichen, die auf ihren klapprigen Mopeds derlei Pistenverbindungen mehrmals am Tag absolvierten und nebenbei den in Not geratenen Touristen ihre kostenpflichtige Hilfe in Navigation oder Bergung der festgefahrenen Expeditionsmobile anboten. Offroad ist für jeden eben etwas anderes.
Wir hatten jedenfalls mit der 990er ein Fernreisemoped gefunden, das uns in dreizehn Jahren niemals im Stich gelassen hat. Wer Infos sucht, inwieweit die 990er im Vergleich zur 790er auf der Moto-Cross-Strecke besser oder schlechter geeignet ist, dem muss ich diese leider schuldig bleiben.
Jetzt endlich zum „Eingemachten“! Ist die 790 Adventure R ein würdiger Ersatz für unsere 990?
Sitzkomfort und Ergonomie
Die 990er passte uns wie der sprichwörtlich Handschuh. Ich war einmal 1,82 m und die Gemahlin 1,62 m. Vermutlich sind wir mittlerweile endlos geschrumpft, keiner traut sich aber, zu messen. Also nehmt die Größenangaben als „ca.“ hin. Die Größe ist wichtig: ein paar Zentimeter mehr oder weniger sorgen für heftige Turbulenzen hinter der Scheibe, oder eben auch nicht. Sind die Beine etwas zu kurz, ist kein sicherer Stand mehr möglich. Sind sie etwas zu lang, stimmt der Kniewinkel nicht mehr für „entspannte“ 10-Stunden-Touren.
Ich sitze auf der 790er sehr gut. Auch hier passt alles, allerdings ist die Haltung eine Spur „sportlicher“, der Kniewinkel geringfügig spitzer, der Körper orientiert sich etwas mehr in Richtung Front, quasi sprungbereit. Trotzdem ist die Haltung bequem und entspannt. Ich bin in den letzten Tagen 1100 km gefahren, einmal 9 Stunden und einmal 8 Stunden auf dem Bock. 650 km solo, 450 mit Sozia. Man ist danach nicht übermäßig fertig oder „reif für die Insel“.
Aber: der Wind- und Wetterschutz. Schon nach der Überführungsfahrt, die bei winterlichen Temperaturen und leichtem Nieselregen stattfand, war mir klar, dass die Kritiken in den Foren, was die aerodynamischen Eigenschaften der neuen Errungenschaft anbelangen, vollumfänglich berechtigt sind. Da lassen sich die Mattighofener auf der einen Seite vom Credo „form follows function“ leiten, was die Tankform anbelangt, vernachlässigen andererseits aber den Schutz des Fahrers vor Wind und Wetter.
Da unsere Urlaube nicht selten in Fernreisen zwischen 4, 6 oder auch mal 10.000 km ausarten, konnte das nicht so bleiben. Ein Reisemotorrad muss auch einmal unliebsame Gegenden auf der Schnellstraße überwinden können, also Gas auf und mit 140-160 km/h durch. Und auch ein, zwei kalte Regentage sollten überlebbar sein.
Das ging mit der 990er ohne Probleme. Natürlich war das auch nicht leise unter dem Helm, aber mit Ohrenstopfen durchaus erträglich. Bei der 790er hatte ich mit massiven Verwirbelungen zu kämpfen, die fortwährend am Helm rappelten. Dann lieber chinesische Tropfenfolter.
Zuerst erstand ich einen Spoiler von MRA. Dieser nahm in steilster Einstellung zwar etwas Winddruck von den Schultern des Fahrers, sorgte aber für zusätzliche Verwirbelungen bei der unglücklichen Sozia, die fortan darauf bedacht war, unfreiwilliges Zähneklappern zu verhindern. Die Luftwirbel zogen nämlich mit hoher Frequenz oben am Helm. Bei mir war es eher ein schnelles Rechts-Links-Geschüttel.
Vorbei also die Zeiten, in denen man auch einmal Geschwindigkeiten von 180km/h mit Sozia und Gepäck unbeschadet für eine Verbindungsetappe überstehen konnte?
Ohne Nachbesserungen, wie z.B. einer hohen Scheibe?
Ein klares „ja“!
Wir hätten jedenfalls so keine Lust gehabt, die 790er für eine Fernreise zu satteln. Da der Spoiler keine Verbesserung brachte, blieb nur noch eine radikale Lösung. Eine Tourenscheibe musste her. Unsere 990er hatte ebenfalls, da als „Travel-Version“ gekauft, eine hohe Tourenscheibe.
Wir brauchen an dieser Stelle nicht über die zu erduldenden Schmerzen diskutieren, die eine solche optische Verirrung für den Eigner des Mopeds mit sich bringt. Ich habe jedenfalls die größte Scheibe, die ich im Zubehörmarkt finden konnte, geordert und montiert. Die große Tourenscheibe von Puig. Die Ausmaße entsprechen gefühlt (gemessen habe ich das nicht) unserer alten 990er Scheibe. Und tatsächlich zeigte dieses Plastiktrumm, das auch einem Heinkel-Roller zur Ehre gereichen würde, Wirkung. Weniger Verwirbelungen, wesentlich geringere Windgeräusche. Von der Optik abgesehen eine spürbare Verbesserung.
Auch die Sozia ist nun zufrieden. Apropos: die Sitzbank der 990er war hinten geringfügig höher. Will sagen: auf der 990er konnte meine Frau besser über meine Schultern nach vorne schauen. Ich hatte auf der alten @ die Navis links und rechts mittels RAM-Mounts am Lenker befestigt, so dass meine Frau immer „mitlesen“ konnte. Auf der 790er sind die beiden Garmins an ähnlicher Position befestigt, die Sozia sieht sie aber nicht mehr, da sie tiefer sitzt. Ein Kissen oder eine Aufpolsterung der Bank muss also auch noch her (oder ein Versuch mit der Standard-Sitzbank).
Fazit: setzen wir für die 990er in dieser Disziplin 100 Punkte an, so erreicht die 790 R nur 70 Punkte ohne Nachbesserungen. Mit großer Zubehörscheibe und Soziakissen gibt es von uns dann 90 Punkte. Die Differenz ist dem stimmigeren Gesamtkonzept der Verkleidung der 990er geschuldet. Würden wir noch die Optik der Tourenscheibe an der 790 R beurteilen, so würde sie mindestens weitere 10 Punkte verlieren. Egal, form follows funktion...
Fahrwerk
Das Fahrwerk war natürlich der Kaufgrund für die R anstelle des Standard-Modells.
Denn eines der Highlights der 990er war das Fahrwerk samt der massiven Federelemente. Die Gabel sah schon aus wie „für die Ewigkeit“ gemacht. Dagegen wirkten die verbauten Röhrchen der Konkurrenz wie zerbrechliche Halme. Tatsächlich haben weder der hintere Dämpfer noch die Gabel jemals einen sog. „Gabelservice“ von mir erhalten. Ich habe das Gabelöl alle 30.000 km getauscht, das war‘s. Keine Undichtigkeiten, kein Durchschlagen, keine Unannehmlichkeiten: einfach topp.
Ein solches Fahrwerk wollten wir wieder haben, auch wenn wir keine 10 Meter-Sprünge machen (jedenfalls freiwillig) und kein echtes Off-Road-Abenteuer zu bestehen haben werden.
Ein überdimensioniertes Fahrwerk zahlt sich meines Erachtens wesentlich eher aus, als ein Tuning-Auspuff. Gerade mit Sozia und viel Gepäck läuft so eine Fuhre immer noch gut in der Spur, schaukelt sich nicht so schnell auf, taucht bei Belastung nicht so stark ein usw.
Da meine Beinlänge es gerade so hergab (die 790er ist noch einen Zentimeter höher als die 990er EFI ABS) und eine Vergleichsprobefahrt der R und der Standard-Version für weitere Klarheit sorgte, wurde die „R“ ausgewählt.
Die 990er hatte durch ihren langen Radstand (1570 gegen 1528mm) einen ausgeprägteren Geradeauslauf. Schnelle Kurvenwechsel verlangten nach beherztem Eingreifen des Fahrers.
Auch mit Sozia und mehr als „vollem“ Gepäck gab es kein Aufschaukeln oder Fahrwerksunruhen anderer Art. Sie fuhr wie auf den sprichwörtlichen Schienen.
Gleiches scheint auch für die 790er zu gelten. Großes Urlaubsgepäck hatten wir bislang „dank“ Corona noch nicht an Bord, aber Koffer samt Zuladung und Sozia schon: tadellose Fahrt. Auch schnelle Autobahnfahrt war kein Problem.
Zudem ist das Fahrzeug wesentlich handlicher als die 990er. Sie fährt sich spielerischer. Zum Kurvenwechsel muss man sie kaum noch überreden. Es bleibt bei Andeutungen von Lenkimpulsen.
Zur Haltbarkeit der Federelemente kann ich natürlich noch nichts sagen. 3000 km haben sie immerhin schon geschafft (was man von der Batterie und dem Display nicht sagen kann – erstere war nach vier Wochen hinüber und das Display bereits auf der Überführungsfahrt von knapp 40 km beschlagen).
Der tiefsitzende Tank und das geringere Gewicht gegenüber der 990er sind jedenfalls auf der „Habenseite“ der 790er zu vermerken. Das merkt man deutlich, wenn man das Gerät in der Garage rangieren muss, das Motorrad auf den Hänger geschoben werden soll, oder man auf einem Waldweg wenden muss.
Sehen wir die Dinge optimistisch und prophezeien Gabel und Dämpfer der 790er ebenfalls ein langes Leben:
dann gewinnt die 790er die Fahrwerkswertung vor der 990er mit 100 zu 80 Punkten.